So, 02. Februar 2014 Artikel aus der Badischen Zeitung
Die Baracken von Haltingen: Eine Siedlung für 500 Obdachlose
Die Geschichte der Artillerieangriffe auf Haltingen wird oft erzählt. Wie es für die Betroffenen weiterging, eher selten. Das will die frischgebackene Stadtführerin Susanne Engler nun ändern.
Schwester Elsa führt die Kinder des Kindergartens durch die Barackensiedlung. Foto: Susanne Engler
Rund 500 Haltinger wurden 1940 obdachlos, nachdem ein Artillerieangriff eine Feuersbrunst im Oberdorf entfachte und unzählige Häuser niederbrannten. Westlich der Firma Schumacher entstand
deshalb eine Barackensiedlung. Susanne Engler aus Haltingen, frischgebackene Stadtführerin, hat sich auf Spurensuche begeben und Zeugnisse über die Notunterkünfte zusammengetragen.
Als das Haltinger Oberdorf im Juni 1940 in Feuer und Asche versank, waren viele Haltinger nicht zuhause. Wegen des Beschusses von französischen Stellungen hatten die
nationalsozialistischen Machthaber Alte, Frauen und Kinder schon im Mai evakuiert. Die Zerstörungen waren jedoch verheerend.
Die Heimkehrer fanden Ende Juni eine Ruinenlandschaft vor. 500 Einwohner waren obdachlos.
Bilder vom zerstörten Haltingen gibt es viele und sie sind den Menschen noch immer allgegenwärtig. Weitaus weniger in Erinnerung geblieben ist die Barackensiedlung im Haltinger Westen,
die der Reichsarbeitsdienst im Sommer 1940 in wenigen Wochen für die Ausgebombten errichtete.
Adolf Fuchs und Schwester beim Ostereiersuchen Foto: Susanne Engler
Die frischgebackene Stadtführerin Susanne Engler will das nun ändern. Sie trägt Erinnerungen und Dokumente zu den Notunterkünften zusammen, die für viele Haltinger noch sehr gegenwärtig
sind.
Man muss sich das vorstellen: Auf einen Schlag war damals das halbe Dorf ohne Unterkunft. Notdürftig kam man bei Verwandten oder Bekannten unter. Ein einziges Zimmer für eine mehrköpfige
Familie war keine Seltenheit.
Der Umzug in die spärlichen Häuschen war in dieser Situation alles andere als eine Zumutung: Endlich wieder vier eigene Wände, wenigstens! Sechs oder sieben Wochen soll es nur gedauert
haben, bis der Reichsarbeitsdienst die bescheidenen, einstöckigen, mit Nut- und Federbrettern verkleideten und mit Dachpappe gedeckten Notunterkünfte errichtet hatte. Offiziell erhielt die
Siedlung deshalb den Namen Konstantin-Hierl-Siedlung, nach dem Reichsführer des Arbeitsdienstes. Bei den Haltingern hießen sie einfach "die Baracken".
Westlich des Geländes der Baufirma Schumacher und nördlich des Heldelingerweges gelegen, entstanden Wohnungen mit einer Küche, Kinder- und Elternschlafzimmern. Ein Bad gab es nicht, auch
keinen Wasseranschluss. Das Wasser musste man von zentralen Brunnen holen. Toiletten und Waschräume waren in einer separaten Baracke untergebracht. Außerdem gab es eine Schlachtküche und eine
Backstube, wohin die Frauen mit ihren vorbereiteten Teigen kamen, um die Brote auszubacken. Ein Häuschen diente als Kinderschule, ein weiteres als Versammlungsraum. Selbst an einen
Gemeinschaftsviehstall hatte man gedacht, schließlich waren viele der Ausgebombten Landwirte.
Möbel und Kleidung erhielten die Bewohner zum Teil als Spenden von den Dorfbewohnern, die Glück gehabt hatten und deren Häuser stehen geblieben waren. Weil das aber kaum reichte, fuhren
Wagen mit allerlei Habseligkeiten vor, von denen sich die Barackensiedler bedienen konnten. Dass auf manchem Teller oder Kleidungsstück noch der Herkunftshinweis "France" zu lesen war, lässt
Mutmaßungen zu, woher die Notrationen kamen.
Auf dem Gelände der Siedlung, dass sich westlich des heutigen Märktwegs und etwa zwischen Heldelinger und Gempenstraße erstreckte, ging das Leben bald wieder seinen alltäglichen, wenn
auch nicht gewohnten Gang. Vor allem für die Kinder war das Leben in der engen Gemeinschaft wie ein großes Abenteuer. In der Erinnerung von Susanne Englers Vater, Adolf Fuchs, der damals im
Kindergartenalter war, waren das die schönsten Jahre seiner Kindheit.
Ein Foto von damals zeigt ihn mit seiner Schwester beim Ostereiersuchen. Und Erich Rieger, der auch zu den Bewohnern gehörte, hat noch vor Augen, wie man sich häuslich einrichtete und es
sich schön machte. Es gab sogar einen Pfirsichbaum vor einer Baracke. Die Älteren dagegen verspürten das von der totalitären Gesellschaft ausgehende Unbehagen in der Enge der Barackensiedlung
umso mehr.
Nachdem der von den Nationalsozialisten mit viel Propaganda angekündigte Wiederaufbau in Haltingen begonnen hatte, konnten Siedlungsbewohner nach und nach ins Oberdorf zurückkehren. Für
viele blieben die Baracken aber während des ganzen Krieges die zweite, neue Heimat. Adolf Fuchs wohnte vier Jahre dort. Wann die letzten Bewohner wieder auszogen und die Baracken verschwanden,
das konnte Susanne Engler bis dato noch nicht ermitteln. Sie hat aber Hinweise, dass die Häuschen möglicherweise versteigert wurden und das eine oder andere vielleicht als Schuppen noch immer
erhalten geblieben ist.
Übrig geblieben sind wenigstens zwei 30 Zentimeter lange Holzbretter, die einst Teil der Wandverkleidung einer Baracke waren. Auf der Innenseite sind sie mit einem Tapetenmuster bemalt –
Not macht erfinderisch. Gerettet hat sie Erich Rieger.
Noch will Susanne Engler weitere Objekte zusammentragen und Informationen sammeln. Auf ihre Führung darf man aber bereits gespannt
sein.